31.1.06

Aus der Welt der Wikis: Systemwissenschaftliche Analyse von Wikipedia

Ingo Frost hat im Ergänzungsstudiengang Angewandte Systemwissenschaft an der Universität Osnabrück eine Diplomarbeit zu Wikipedia verfasst. Die Arbeit trägt den Titel: Zivilgesellschaftliches Engagement in virtuellen Gemeinschaften? Eine systemwissenschaftliche Analyse des deutschsprachigen Wikipedia-Projektes. Darin kommt Ingo Frost laut einleitendem Abstract zu folgenden Erkenntnissen:

Zwischen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und dem Engagement der Wikipedia-Gemeinschaft lassen sich breite Überlappungen feststellen. Sie beziehen sich auf individuelle Motive, strukturelle Aspekte der Beteiligung und auf die Faktoren soziales Kapital und soziales Vertrauen (nach der Auslegung Putnams). Besonderheiten bei Wikipedia sind die fehlende Planungsphase, wodurch viele Vorgänge vereinfacht werden und die Tatsache, dass im Gegensatz zu Vereinen die Interaktionen zwischen den Engagierten relativ anonym ablaufen und meist sachbezogen sind. Generell ist festzuhalten, dass Wikipedia als funktionierendes Beispiel dafür zu nennen ist, wie sich trotz hoher Teilnehmerzahl jeder in jedem Bereich mit gleicher Stimme einbringen kann: Wikipedia dokumentiert Wissen demokratisch und kann als bürgerschaftlich selbstorganisiert angesehen werden.
Wikipedia erweist sich somit als Spiegel unserer Gesellschaft, die zunehmend geprägt wird von Individualisierung, Beteiligung und der wachsenden Bedeutung der Wissensgesellschaft. Wikipedia verbessert den Anschluss an die wissenschaftliche Öffentlichkeit. Gleichzeitig ist Wikipedia aber auch Austragungsort ideologischer Konflikte (ideologischer Vandalismus).

Dass die fehlende Planungsphase viele Vorgänge vereinfacht, ist eine für mich neue Erkenntnis der Systemwissenschaft - da kann man ja auch anderer Ansicht sein. Bei Wikipedia mag dies Teil des Erfolges sein, das wäre aber dann doch genauer auszuführen.

Dass hingegen die Interaktionen anonym sind, habe ich auch schon als Merkmal von Wikipedia festgestellt. Interessant wäre hier die These, ob dies zum Erfolg beiträgt, weil die Anonymität die Interaktionen vereinfacht, bzw. versachlicht.

Etwas gewagt finde ich die Aussage, dass Wikipedia der Spiegel gesellschaftlicher Entwicklung sein soll, und dass die Gesellschaft, in der Wikipedia entwickelt und genutzt wird (im Fall dieser Diplomarbeit die deutsche Gesellschaft, vielmehr die deutschsprachige Gesellschaft) von den gegenläufigen Tendenzen der Individualisierung und der Beteiligung geprägt sein sollen. Zudem ist Wikipedia ja ein internationales Projekt; hier wären also Differenzierungen angezeigt (auch wenn eine Diplomarbeit zugegebenermassen nicht der Ort für eine solche Differenzierung sien kann).

Auch die Aussage, dass Wikipedia den Anschluss an die wissenschaftliche Öffentlichkeit verbessere und generell ein Indiz für die wachsende Bedeutung der Wissensgesellschaft sein soll, halte ich (auch bei näherer Betrachtung von Frosts Argumentation) für nicht sehr stichhaltig, bzw. für eine zu allgemeine Aussage. Dennoch eine interessante Darstellung des Wikipedia-Projektes.

Übersicht: Aus der Welt der Wikis

30.1.06

HOK Lesen: Virtuelle Ego-Massage

Das Phänomen ist ja durchaus bekannt, dass sich Internet-Abhängige (Internet Addicts) nicht nur Informationen über andere Leute er-"googeln" sondern auch sich selbst der regelmässigen Relevanz-Überprüfung unterziehen. Nun gibt es einen Dienst, der einem diese lästige Arbeit abnimmt und auch noch gleich Punkte verteilt. Schick, wenn am Ende der Ego-Tacho einem die Internet-Wichtigkeit gleich veranschaulicht. Mit meinen 3617 Punkten (Stand 30.1.2006, das Logo unten sollte die jeweils aktualisiert Punktestand anzeigen, so verspricht es jedenfalls der Prospekt) bin ich allerdings ziemlich am unteren Ende. Allerdings: Bill Gates hat auch nur 6723 Punkte... (Steve Jobs übrigens 6744...).



Nix als Spielerei? Interessant ist ja die Analyse, wie die Punktzahlen zustande kommen. Das Tool wurde entwickelt um die Verlinkungen von Blogs zu analysieren. Funktioniert aber auch mit normalen Websites.

Update: Ich bemerke grade eben, dass die Ego-Punkte auf dem Zähler immer dann absinken, wenn keine Suche auf der Ego-Surf-Website vorgenommen werden. Oder in den Worten der Website-Betreiber:
Egopoints now biodegrade. They have an atomic half-life.

HOK Fallstudie "Rendezvous mit dem Tod" - Nachtrag

Man möchte ja meinen, dass in Bezug auf den Dokumentarfilm "Rendezvous mit dem Tod" schon alles gesagt sei. Aber nein: Fidel Castro selbst hat sich nun geäussert - und damit entsprechendes Medienecho ausgelöst. Seiner Ansicht nach hat Regisseur Huismann eine Auftragsarbeit für die CIA abgeliefert.

Übersicht: HOK Fallstudie "Rendezvous mit dem Tod"

28.1.06

HOK Schreiben: Soziale Beziehungen beim Kollaborativen Schreiben

Angesichts der zentralen Bedeutung, die Lunsford und Ede in ihrer Untersuchung über das kollaborative Schreiben den Machtverhältnissen und Hierarchien in den gemeinsam schreibenden Gruppen beimessen, wird das Potential von Wiki, oder genauer von Wikipedia deutlich.

Lunsford und Ede stellten fest, dass bei den von ihnen untersuchten kollaborativen Schreibprozessen die Machtkonstellationen unterschiedlich mit der tatsächlichen Schreibbeteiligung und der schliesslichen Kennzeichnung der Autorschaft korrelierten. Sie stellten einerseits zwei Typen der Kollaboration fest: einen hierarchischen (Der Chef strukturiert, die Unterstellten schreiben, der Chef entscheidet) und einen kollegialen (alle Beteiligten entwickeln gleichberechtigt den gemeinsamen Text).
Allerdings müsse der hierarchische Typus keineswegs immer in der (aus der Sicht der kritischen Theorie naheliegenden) ausbeuterischer Form vorliegen. Der hierarchische Modus könne auch mit geteilter Macht und Autorschaft sehr effizient zu Prozessen und schliesslich Ergebnissen führen, die für alle Beteiligten sehr zufriedenstellend seien (S. 134).

Auch bestehe kein zwingender Zusammenhang zwischen Macht und Einfluss bei der Textgestaltung und Autorschaft beim Endprodukt. Es gäbe hier verschiedene Mischformen.

Entscheidend scheint mir folgende Feststellung von Lunsford und Ede in Bezug auf das von ihnen untersuchte Sample, das vor allem aus männlichen, angelsächsischen Weissen aus Wissenschaft, Privatunternehmen und Verwaltung bestand: "The fact that collaborative writing is so readily accepted in this world may be connected to this world's homogeneity. What, we wonder, will result when such a context changes, when the professional work scene is populated much more by women and people of color?" (S. 138)

Auch wenn die Frage offen bleiben muss, warum zu Ende der 1980er Jahre diese Durchmischung in den USA offenbar noch nicht stattgefunden hat (oder haben soll) - interessant bleibt der Aspekt der Homogenität. Er bezieht sich auch darauf, dass die Beteiligten an kollaborativen Prozessen sich gegenseitig bekannt sind. Das heisst, es herrschen soziale Beziehungen, eventuell auch Machtgefälle zwischen den Beteiligten, die sich in den Arbeitsprozessen abbilden können. (Anmerkung: Lunsford und Ede untersuchten konventionelle Formen des kollaborativen Schreibens, ohne Unterstützung durch neue Informationstechnologien wie das Internet).

In dieser Hinsicht bietet Wikipedia eine interessante Alternative an. Hier können einander Unbekannte gemeinsam an einem Text arbeiten. Die sozialen Beziehungen zueinander werden erst im Verlaufe der Arbeit bestimmt. Dass dieser Prozess relativ unklar ist, bzw. sich zumindest nicht an etablierten Strukturen ausrichtet, sondern im Prinzip einen egalitären Ansatz verfolgt (die Schülergruppe von 15-jährigen ist genauso teilnahmeberechtigt wie gestandene Professorinnen und Professoren) trägt auch zur Verunsicherung bei, welche die Scientific Community beim Experiment Wikipedia beschleicht.

Dies ist eine soziale Konstruktion, keine technische. Denn Wikis können auch zur Erarbeitung von Texten dienen, an denen Personen beteiligt sind, die sich bekannt sind und deren Beziehung zueinander geklärt ist. Der Einfluss der Technik auf die Zusammenarbeit dürfte vergleichsweise klein sein und sich vor allem auf Effizienzsteigerung und Flexibilität beziehen.

Selbst die Aufzeichnung von Veränderungen gegenüber früheren Versionen mit Verweis auf die Autorschaft, die die Veränderung verantwortet, sowie die Archivierung aller früheren Versionen ist an sich nicht neues. Viele kennen diese Hilfsmittel vom verteilten Arbeiten mit Word-Dokumenten. Doch dass diese Aufzeichungen dem Wiki-System derart zugrunde liegen, dass das Wikipedia-Projekt mit dem Prinzip der Accountability überhaupt starten und sich entwickeln konnte, ist eine wichtige Differenzierung gegenüber früheren technischen Lösungen von Kollaborationshilfsmitteln, die entscheidenden Einfluss auf die Art der Kollaboration hat.

Literatur:
Ede, Lisa, Lunsford, Andrea: Singular texts/plural authors. Perspectives on collaborative writing, Carbondale: Southern Illinois University Press 1992

Übersicht: HOK Schreiben

26.1.06

HOK Schreiben

Das "Schreiben" ist im Gegensatz zum "Lesen" jener Teil der Historischen Online-Kompetenz, die bei der Auseinandersetzung um die Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Geschichtswissenschaften noch wenig Beachtung gefunden hat. Die erstaunt umso mehr als das "Schreiben der Geschichte" ein zentrales konstituierendes Element der Geschichtswissenschaft ist und die Debatte über ihre Ausrichtung und Ausgestaltung seit zwei Jahrhunderten die Geschichtswissenschaften immer wieder beschäftigt. Zu beachten ist dabei auch der Grenzbereich "Lesen/Schreiben", der ebenfalls einigen Einfluss auf die Überlegungen zur Kompetenz-Dimension des "Schreibens" hat (Letztes Update 22.8.2006).

HOK Schreiben: Blog = Microcontent

Bei der Suche nach Ansätzen, Blogs für e-Learning einzusetzen, stiess ich auf den Begriff "Microcontent". Der Begriff bezeichnet die einzelnen Blog-Einträge, was mir einleuchtend und auch aussagekräftig erscheint. Microcontent erfüllt idealtypisch die Voraussetzungen des Hypertexts auf kleine, in sich geschlossene Informationseinheiten, die modular beliebig miteinander kombiniert werden können.
Auch das Verfassen von Blog-Einträgen in vorliegendem Blog macht mir dies deutlich: die Hemmschwelle zur Publikation ist geringer, da der Kontext nicht a priori schon entwickelt sein muss. Die Zusammenhänge der Microcontents können auch nachträglich durch Verlinkung erstellt werden (wenn das überhaupt erwünscht ist). Sonst muss sich der Leser, die Leserin eben selber die Zusammenhänge erstellen, ganz in Sinne eines "schreibenden Lesens", der Konstruktion von Sinn aus non-linearen Texten.

Übersicht: HOK Schreiben

HOK: Lesen/Schreiben: Einstieg

Dass sich Online-Kompetenz mit Lesen und Schreiben befasst, ist angesichts der Tatsache, dass mit der Hypertext-Technologie eine neue Textgattung postuliert wird, naheliegend. Das "Wreading" macht die Unterscheidung zwischen Lesen und Schreiben immer schwieriger, diese ist aber dennoch nötig: Gerade in der Geschichtswissenschaft ist der Prozess des Schreibens (eben die "Geschichtsschreibung") von grosser Bedeutung. Neben dem HOK Lesen und HOK Schreiben daher hier eine Sammlung von Blog-Einträgen zu HOK Lesen/Schreiben (neueste Einträge zuerst - letztes Update: 1.12.2006):

HOK: Lesen/Schreiben: Non-Linearität und Konstruktion

Eckhard Schumacher wirft in seinem Aufsatz die Frage auf, inwiefern der Anspruch der Hypertext-Apologeten Jay David Bolter und George P. Landow wirklich zutrifft, dass Hypertext die Theorien von Textualität von Jacques Derrida oder Roland Barthes abbilde. Diese haben bereits in den sechziger Jahren Textformen gefordert, die nicht mehr als geschlossene Textkörper den Leser, bzw. die Leserin zu einem passiven Konsum zwingen, sondern durch ein "Brechen" des Textzusammenhangs dem Leser eine gestaltende Rolle zuweisen.

Bolter und Landow postulierten, dass genau diese Forderung durch die Hypertext-Technologie erfüllt würden. Landow bezeichnet die virtuellen Texte, die durch das Verfolgen der Hyperlinks einen jeweils individuellen Textablauf konstruieren, als Resultat des "wreading", also einer Mischung aus "write" und "read". Doch die technische Möglichkeit der nicht-linearen Darstellung von Texten führt noch nicht automatisch zu Texten, die dem Leser eine andere Rolle einzunehmen ermöglichen.

Schumacher hält den Hypertext-Theoretikern einerseits vor, dass sie Hypertext als Ende einer Entwicklung zu offenen Textformaten bezeichnen. Hypertext ist sozusagen der absolute Text. Derrida wollte mit seiner Unterscheidung von (herkömmlichen) "lesbaren" und (neu zu erfindenden) "schreibbaren" Texten aber genau diese Abgeschlossenheit von Textverständnis aufbrechen. Das Rezipieren von Texten sollte ein offener Prozess bleiben.

Denn gerade die Realität von Hypertext zeigt die Grenzen dieser Technologie (in ihrer Umsetzung) auf: Viele Hypertexte sind herkömmliche Texte, die einfach anders angeordnet wurden. Und vor allem: Der Autor oder die Autorin verfügt mit den Links noch immer über eine Steuerungsmöglichkeit, wie der Hypertext rezipiert wird. Es findet eine Auswahl der Inhalte durch den Autor statt, wenngleich nicht über die Sequenzierung beim Lesen.

Zwei Erkenntnisse von Schumacher:
  • Zur Non-Linearität gehört ein Element der Unvorhersehbarkeit ("programmed unpredictability"), die neue und überraschende Lesevorgänge ermöglicht.
  • Hypertext müssen nicht auf Computer beschränkt sein. Auch gedruckte Hypertexte sind denkbar, wenn sie die Idee der Non-Linearität konsequent umsetzen.
Dies hat auch Auswirkungen darauf, wie in der Geschichtswissenschaften Texte gelesen und geschrieben werden und wie die immer wieder postulierte Selbssteuerung in Lernprozessen realisiert werden kann.

Literatur:
Schumacher, Eckhard: "Hyper/Text/Theorie: Die Bestimmung der Lesbarkeit", in: Andriopoulos, Stefan, et al. (Hg.): Die Adresse des Mediums, Köln: Du Mont 2001, S. 121-135.

Übersicht: HOK Lesen/Schreiben

20.1.06

HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod" - Fazit

Die kleine Fallstudie (die mich doch einiges an Zeit gekostet hat) zeigte meines Erachtens folgendes:
  • Die Rolle der etablierten Medien (auch in Online-Versionen) als Meinungsführer und Ort der Debatten ist noch immer bedeutend,
  • Blogs begnügen sich (in diesem Fall) zumeist im Verweisen auf und Kommentieren von Nachrichten oder Ereignissen, wobei darunter auch interessante Beobachtungen zu finden sind,
  • Wikipedia hat die Fakten in angemessener Weise (nämlich mit Verweis auf den Kontext der Informationen), umfassend und schnell in die einschlägigen Artikel aufgenommen. Eine Diskussion über die Aussage des Films wurde jedoch nur angedeutet.
Der Film selber hat mich enttäuscht, ich fand ihn weder formal noch inhaltlich wirklich überzeugend. Die filmische Aufarbeitung des Falles hat eher Fragen aufgeworfen als sie beantwortet. Solange wichtige Quellen (in diesem Falle besonders die kubanischen Geheimdienstunterlagen) nicht zugänglich sind, muss mit Vermutungen und Plausibilitäten vorgegangen werden. Und ob man glauben will, dass Castro sich zu diesem Zeitpunkt wirklich zu solch einem Husarenstreich entschied, hängt davon ab, was man persönlich von diesem Mensch hält.

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Aus der Welt der Wikis: Nie mehr Nihils?

Ein zufälliger Fund (Serendipity...) in der letzten Sonntagszeitung zu sogenannten Nihil-Artikeln in Lexika (auch als U-Boote bekannt) bringt einen weiteren Aspekt des "Wiki Way of Publishing" zum Vorschein.
Nihil-Artikel sind erfundene Artikel, die von der Redaktion in Nachschlagewerke eingefügt werden. Beispiele dafür sind der Eintrag zur Steinlaus im klinischen Wörterbuch Pschyrembel, die vom deutschen Humoristen Loriot erfunden wurde, oder der Artikel über den antiken Vorläufer des Fussballs Apopudobalia, der im "Neuen Pauly" Aufnahme gefunden hat.
Zweck dieser erfundenen Wahrheiten sei die bessere Kontrolle darüber, ob aus den Nachschlagewerken abgeschrieben werde. Sie scheinen den Fachautoren aber auch Spass zu machen.

Und was hat das mit Wikis zu tun? Nun, bei Wikipedia wird jeder Eintrag von zahlreichen voneinander unabhängigen Lesern und Leserinnen kontrolliert. Es gibt da keine geschlossene Gruppe, die Artikel redigiert und publiziert und sich darüber verständigen könnte, welche Falschinformationen in das Gesamtwerk eingeschleust werden. Bei Wikipedia gilt das Prinzip, dass alle mitmachen können: ein egalitäres Prinzip des kollaborativen Zusammenwirkens von einander Unbekannten. Da haben Nihil-Artikel keine Chance - oder?

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Aus der Welt der Wikis: Zensur

Nicht nur bei Blogs, auch bei Wikis kann es zur Zensur kommen. Konkret geht es um Wikipedia, das von den chinesischen Behörden (gleichsam ein "usual suspect", die auch schon bei Blogs als Zensor aufgetreten sind) in Teilen für den Zugriff aus dem chinesischen Netz gesperrt wurde.

Wikipedia ist aber auch in Deutschland zu einem zeitweiligen Verstummen gezwungen worden. Dort war es eine einstweilig Verfügung der Eltern eines Programmierers und Hackers, der unter mysteriösen Umständen ums Leben kam (sein Selbstmord wurde in der Szene immer wieder angezweifelt). Die Eltern wehrten sich gerichtlich gegen die Nennung des Familiennamens und beriefen sich Persönlichkeitsrechte. Dies könnte noch eine Reihe von Klagen nach sich ziehen, denn es gibt wohl noch weitere Personen, die mit der Art der Darstellung in Wikipedia nicht einverstanden sind.
Allerdings hatte die Verfügung nur eine begrenzte Reichweite. Das deutsche Wikipedia war unter wikipedia.de nicht mehr erreichbar, aber noch immer unter de.wikipedia.org. Nur einen Tag später konnte Wikipedia die Wirkung der einstweiligen Verfügung wieder aufheben. Mehr über die Hintergründe dieses verwirrenden Falls, der plötzlich sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat, in einem Artikel von Burkhard Schröder bei Telepolis.


Übersicht: aus der Welt der Wikis

Aus der Welt der Wikis: Gute Ratschläge zum 5. Geburtstag von Wikipedia

Anlässlich des fünften Geburtstags von Wikipedia gibt Torsten Kleinz auf Telepolis der Internet-Enzyklopädie fünf Ratschläge für die Zukunft.
  1. Das Projekt muss personell und finanziell besser organisiert, bzw. besser ausgestattet werden, damit es nicht Opfer des eigenen Erfolgs wird.
  2. Die Lizenz, welche die Nutzung von Wikipedia-Inhalten regelt, gestattet zwar eine kostenlose Nutzung, ist aber kompliziert und zudem inkompatibel zur Common Creative License, hier brauche es eine Lösung.
  3. Wikipedia muss die zweischneidige Frage der Transparenz lösen. Bei den Artikel-Editionen sei Wikipedia zu transparent, weshalb viele Leute aus Angst vor Nachforschungen durch Arbeitgeber oder andere ihre Beiträge nur anonym eintragen; bei den Entscheidungsfindungen und der internen Organisation von Wikipedia hingegen zuwenig transparent, da die Entscheidungsfindungen schwer durchschaubar seien.
  4. Wikipedia müsse mehr Fachwissenschaftler für die Mitarbeit gewinnen. Dafür ist im Juni 2006 eigens eine Konferenz in Tübingen anberaumt worden.
  5. Wikipedia müsse aktiver werden, um die eigenen Ansprüche und Ziele in der Öffentlichkeit zu vertreten, die durch zahlreiche Meldungen zu Falscheinträgen (wie bei Bertrand Meyer oder John Seigenthaler) einen einseitigen Eindruck von Wikipedia erhalten habe. Dazu kommen noch Schwierigkeiten mit Zensurmassnahmen (etwa in China) oder einstweiligen Verfügungen (wie kürzlich im Fall "Tron").
Im Wesentlichen laufen die Ratschläge auf eine Professionalisierung des Projekts hinaus, mit dem unausgesprochenen Anspruch, die Qualität der Enzyklopädie zu sichern. Ich fürchte jedoch, dass die Professionalisierung dem Projekt den Schwung nehmen wird, den es so auszeichnet. Eine Professionalisierung bedeutet mehr Geld, dies führt zu steigenden Erwartungen der Geldgeber und schliesslich zu direkten oder indirekten Ausschluss-Prozessen von Mitwirkenden. Ob Wikipedia dann noch funktionieren kann oder zur Episode wird (wie das Vorgänger-Projekt Nupedia), wird die Zukunft weisen.
Problematisch finde ich die (vom Aspekten des Datenschutzes her verständliche) Forderung nach weniger Transparenz. Gerade die Offenlegung der Entwicklung der Artikel durch verschiedene Versionen der jeweils Verantwortlichen trägt wesentlich zur Vertrauensbildung und Qualitätssicherung bei. Wenn nur Eingeweihte (Fachredaktoren) diese Versionen einsehen dürfen, dann bewegt sich Wikipedia in konventionelle Richtung der Wissens- und Orientierungsgenerierung auf dem Netz. Und da ist die Konkurrenz wohl besser.

Übersicht: Aus der Welt der Wikis

16.1.06

HOK: Was es ist und zu welchem Zwecke es dienen soll

Die Historische Online-Kompetenz (HOK) entstand aus dem Bedürfnis heraus, den Einsatz von ICT (Information & Communication Technologies; auch bekannt als Neue Medien) in den Geschichtswissenschaften (in der Lehre, aber auch in der Forschung) evaluieren und beurteilen zu können. Dafür fehlten Kriterien, die sowohl die geschichtswissenschaftlichen Anforderungen als auch die medienspezifischen Voraussetzungen berücksichtigten. Die vorhandenen geschichtsdidaktischen Postulate an guten Geschichtsunterricht sind bislang kaum auf den Einsatz, bzw. die Nutzung von ICT angewendet worden. Sie haben auch nur beschränkt Aussagekraft für die wissenschaftliche Ausbildung an den Universitäten, wo der Einsatz von ICT eine bedeutendere Rolle als in der Mittelschule spielt. Auch der Einfluss von ICT auf geschichtswissenschaftliche Forschungsmethoden ist nur sehr spärlich reflektiert worden. Andererseits verfügen alle jene Empfehlungen und Untersuchungen zu Medien- oder Informationskompetenz über wenig fachspezifische Relevanz.
Die HOK versucht, allgemeine Kompetenzen der Geschichtswissenschaften zu bezeichnen und diese mit den Ausprägungen der Medien- bzw. Informationskompetenz zu kombinieren, um daraus Anforderungen abzuleiten, welche das Arbeiten oder Lernen mit ICT in den Geschichtswissenschaften erfüllen sollte.
Bei der Definition der HOK werden die Arbeitsbereiche der Geschichtswissenschaft vereinfacht auf
  • Informationsbeschaffung und -bewertung (Analyse),
  • Produktion von eigenen, neuen Darstellungen (Synthese) und
  • (selbst-)kritische Reflexion und Situierung im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext
In einem weiteren Vereinfachungsschritt unterscheidet die HOK zwischen den Kompetenzen "Lesen", "Schreiben" und "Reden".

Diese Gliederung ist konsistent im Vergleich mit den Arbeitsbereichen, welche die Geschichtsdidaktik bezeichnet (Rüsen, Jeismann, Schreiber, Pandel) (siehe HOK und Theorie der Geschichtsdidaktik). Sie lässt sich auch in Verbindung bringen mit den Gliederungsvorschlägen der Informationskompetenz (welche die Informationsbeschaffung und -bewertung umfasst) und der Medienkompetenz (nach Baacke; siehe: HOK und Medienkompetenz).
Die Schwierigkeit dabei ist, dass ICT immer unter verschiedenen Aspekten gesehen werden kann: als Gegenstand, als Hilfsmittel oder als Werkzeug. Daher bezieht sich die Historische Online-Kompetenz jeweils auf diese drei Aspekte. (siehe HOK: drei Bezugsebenen der Kompetenzen).

Weitere Ausführungen zu finden via hist.net/hok

13.1.06

Aus der Welt der Wikis: Dubito, ergo sum

Bertrand Meyer, Professor für Software Engineering an der ETH, befasst sich in seinem Paper "Defense and Illustration of Wikipedia" (PDF, 106KB) mit den verschiedentlich vorgetragenen Analysen, wonach das Prinzip von Wikipedia, jedem Schreibrecht zu gewähren, gar nicht funktionieren könne und über kurz oder lang die Qualität der Einträge sich auf einem niederen, wissenschaftlich unhaltbaren Niveau einpendeln müsse (Denning et al.; McHenry).
Meyer erwidert, die Praxis belege eher das Gegenteil: Dafür, dass dieses Projekt theoretisch gar nicht brauchbare Ergebnisse hervorbringen könne, funktioniere es im Alltag ganz hervorragend. Er bringt zwei Punkte an:
  • Vergleich: Der Vergleich mit den herkömmlichen Enzyklopädien (ob von Kritikern oder Befürwortern vorgebracht) ziele am Nutzen von Wikipedia vorbei: Es sei vielmehr eine Alternative zur schnellen Internet-Suche nach Informationen, die sonst über Suchmaschinen, bzw. über Google vorgenommen werden.
  • Nachvollziehbarkeit und Veränderbarkeit: Ausserdem biete Wikipedia (im Vergleich zu gedruckten Büchern, aber auch zu herkömmlichen Websites oder Posts im UseNet) die Möglichkeit, Fehler innert nützlicher Frist zu korrigieren. Auch wenn Fehler zuweilen lange unentdeckt blieben: sie können dann schnell und mit wenig Aufwand behoben werden.
Natürlich gilt diese Beobachtung besonders für fachlich wenig umstrittene Inhalte. Allerdings führt Meyer an, dass auch in der Informatik zuweilen die Diskussion-Seiten in Wikipedia gefüllt werden mit Vorwürfen der einseitigen Bevorzugung der einen oder anderen Software in gewissen Artikeln.
Meyer differenziert: Wikipedia nimmt eine besondere Rolle ein neben der für fachwissenschaftlichen Publikationen unverzichtbaren, wenn auch nicht vor Fehlern gefeiten Peer-Review-Methode. Es wird verschiedene Arten der Wissensrepräsentationen geben, die sich nicht ausschliessen sondern ergänzen. Wikipedia ist schnell aktualisiert und breit in den abgedeckten Themen; Fachpublikationen können dafür mehr in die Tiefe eines Phänomens gehen.

Letztlich kommt Meyer zum Schluss, der allgemein für die Nutzung des Internets gilt und als Leitmotto der Historischen Online-Kompetenz gelten könnte: dubito, ergo sum.
Since when are we supposed to trust everything that we read, printed, electronic or otherwise?
Einen besonderen Dreh erhält die Darlegung von Bertrand Meyer durch den Umstand, dass er in Wikipedia über die Weihnachtstage totgesagt wurde. Er wurde also selber Opfer jener Anfälligkeit von Wikipedia, die er analysiert. Dieser Wikipedia-Vandalenakt (oder in den Worten von Meyer: schlechter Studentenscherz) schaffte es in verschiedene Zeitungen und Online-Medien (zuerst bei Heise Online). Meyer beschreibt in einem Anhang die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte zu dieser Episode, die sich auch als Fallstudie eignen würde und natürlich Parallelen zum Fall Seigenthaler aufweist. Was mich bedenklich stimmte, war die Bemerkung Meyers, die Version, welche seinen Tod vermeldete, wurde mittlerweile gelöscht (ein Screen-Shot der Datei ist hier zu finden). Offenbar gibt es Möglichkeiten, alte Versionen in Wikipedia zu beseitigen, was ich als Historiker bedauerlich, ja bedenklich finde. Braucht es eine verbindliche Leitlinie zur Archivierung der Wikipedia?

Literatur
Übersicht: Aus der Welt der Wikis

Aus der Welt der Wikis: Wikis machen schlau - so oder so

Eine Reaktion von Erik Möller auf eine kritische Bemerkung in meinem Eintrag "Aus der Welt der Wikis: Legendenbildung" hat verschiedene Konsequenzen:
  • Die Einsicht bei mir, dass Fragen nichts kostet: Wenn ich mich schon wundere, warum Erik Möller den besprochenen Sachverhalt nicht erkannt hat, wäre ein Mail ein Leichtes gewesen. Aber, wie an anderer Stelle bereits gesagt, man misst den eigenen Blogs ja nicht immer die Ausstrahlung zu, die sie zuweilen haben.
  • Die Erkenntnis, dass in der Wiki-Welt ein einfacher Link auf eine Webpage noch weniger ausreicht als bei konventionellen Websites. Damit wird die in (geisteswissenschaftlichen Kreisen zumindest) vorgeschlagene, aber auch nicht immer konsequent angewendete Vorgabe, zu jedem Link das Datum des Aufrufs hinzuzuschreiben, in ihrer Sinnhaftigkeit klar bestärkt. Möller schreibt nun, dass MediaWiki neuerdings (seit Sommer 2005) die Möglichkeit bietet, gezielt auf spezifische Archiv-Versionen von Wiki-Einträgen zu verlinken. Auch ein Teil historischer Online-Kompetenz: diesen Sachverhalt zu kennen und die Funktionalität auch anzuwenden.
Das Wikis schlau machen, sei es durch das Lesen der Inhalte oder durch die Auseinandersetzung mit ihrer Funktionalität, bestätigt auch der Artikel von Bertrand Meyer.

Übersicht: Aus der Welt der Wikis

Social Software in Mediotheken

Beat Döbeli schlägt eine interessante Idee vor, die im Zusammenhang mit kollaborativen Arbeitsweisen und historischen Online-Kompetenzen zu sehen ist: Social Software in Mediotheken. Er definiert Social Software als jene Software-Tools, die bei der Wissensgenerierung Gruppenprozesse unterstützt oder abbildet. Beispiele, die wir hier auch schon besprochen haben und mittlerweile sehr en vogue sind: Tagging, Social Bookmarking und mehr (siehe auch in der Rubrik "Suchen und Finden" die Beiträge "Drei Königswege", "Communities" und "Tagging").
(Die angesehene Computer-Zeitschrift c't spricht angesichts dieser Gruppenfunktionalitätenbereits vom "Web 2.0", der nächsten Version des Webs; c't 1/2006, S. 174).

Döbeli erhofft sich davon vor allem, dass die Benutzer miteinander in Kontakt kommen, weil sie dank der Darstellung in der Social Software, die gleichen Bücher ausgeliehen zu haben, von ähnlich gelagerten Interessen Kenntnis erhalten. Ich bin da etwas skeptischer, da ich vermute, dass Datenschutz-Bedenken bei den Bibliotheks-Benutzerinnen und Benutzern die möglichen Vorteile einer solchen Verknüpfung von Namen und Titel überwiegen werden.

Übersicht: HOK Lesen/Schreiben

11.1.06

HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod" - Etablierte Medien (Rest)

Deutschlandfunk (Hans-Joachim Wiese: "Im Auftrag der Staatssicherheit Kubas", von der Zeit übernommen), die Welt (Jörn Lauterbach: "Das hier ist kein Fake"), die taz ("Die Hauptfrage ist jetzt beantwortet") und Spiegel Online (Severin Weiland: "Nur einer konnte überleben") bieten in Interviews dem Filmautor die Möglichkeit, über seine Arbeit zu sprechen und vor allem seine These darzulegen und ihre Bedeutung hervorzustreichen. Darin wird klar, dass für Huismann nach seiner langjährigen Recherche die These schlüssig ist. Er wird allerdings nirgends mit Gegenargumenten konfrontiert.

Übersicht HOK Fallstudie "Rendezvous mit dem Tod" und zu Reaktion etablierter Medien

HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod" - Etablierte Medien (Contra)

Klaus Wiegriefe kontert in Spiegel Online ("Steile These, schwache Belege") die Aussagen des Films mit den Hauptargumenten der Kritiker: Die These ist nicht wirklich neu und die Indizien halten einer genaueren Prüfung nicht ausreichend Stand.
Doch hält der Film wirklich, was seine Macher versprechen: Die Auflösung des spektakulärsten Politikermordes der vergangenen Jahrzehnte? (...)
Und in der Tat wirken die von ihm gesammeltem Indizien auf den ersten Blick überwältigend: Mitschnitte von abgehörten Telefonaten der kubanischen Botschaft in Mexico City, Unterlagen des sowjetischen Geheimdienstes KGB, Aussagen zahlreicher kubanischer Geheimdienstoffiziere. Doch bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Glieder der Beweiskette als wenig belastbar.
Keiner der Zeugen Huismanns war an der angeblichen Operation persönlich beteiligt. Unklar bleibt, auf welche Weise die Kubaner dem Attentäter Oswald geholfen haben sollen. Viele Zeugen sind - obwohl Huismann einen gegenteiligen Eindruck erweckt - der Kennedy-Forschung bekannt und ihre Aussagen von verschiedenen Untersuchungskommission und Historikern verworfen worden. Und was Huismann an Neuem zusammengetragen hat, wirft zu viele Fragen auf, als dass sich damit die Geschichte umschreiben ließe.

Ähnlich kritisch beurteilt Andreas Förster in der Berliner Zeitung ("Spur nach Havanna") die Belege für die These, Kuba stecke hinter der Ermordung Kennedys.
Eine Version, die so, wie sie der Film präsentiert, plausibel klingt. Die aber auch nicht mehr als eine neue Verschwörungstheorie ist.Denn an wirklich harten Beweisen mangelt es dem Film. Huismann präsentiert stattdessen die Aussagen von ehemaligen kubanischen Geheimdienstlern, die seit Jahren im Ausland leben und offenkundig mit dem Castro-Regime gebrochen haben.
Dass Kuba Oswald vor den Augen der amerikanischen Geheimdienste in Mexico-City, einem berüchtigten Tummelplatz für Agenten zur Zeit des kalten Krieges, mit dem Mord an Kennedy beauftragt haben soll, hält Förster für wenig plausibel. "Huismanns Dokumentation jedenfalls kann diese Zweifel nicht ausräumen". In die gleiche Kerbe schlägt Jochen Bittner bei der Zeit ("Liess Castro Kennedy ermorden?"). Die These von Huismann klinge zwar plausibel: "Doch wer heute abend genau hinguckt, wird entdecken, dass viele Bindeglieder der Argumentationskette fehlen."

Gar kein gutes Haar lassen Harald Neuber in Telepolis ("Rendezvous mit der Quote") und Horst Schäfer in einem Interview jungen Welt ("Huismanns Behauptungen sind ein uralter Ladenhüter") an Huismanns These. Neuber:
Während fehlende Beweise durch eine schmissige Aufmachung und Bewerbung durch den WDR und andere Beteiligte ersetzt werden, drängt die Frage nach dem Sinn. Diese ist vielleicht am ehesten in dem finanziellen Aufwand zu suchen. Die 850.000 Euro Produktionskosten müssen schließlich wieder eingespielt werden.
Schäfer kennt sich mit der Materie aus, er hat als Korrespondent in den 1960er Jahren in Washington gearbeitet, mit Insidern aus der Verwaltung gesprochen, interne Akten eingesehen und ein Buch über die Kuba-Politik der USA in dieser Zeit publiziert ("Im Fadenkreuz: Kuba"). Dabei gewann er einen gänzlich anderen Eindruck als Huismann:
Mir fiel auf, daß ein großer Teil der Beteiligten an den Mord- und Terroraktionen von CIA, Mafia und Exilkubanern gegen Kuba bei den Untersuchungen des US-Kongresses als Verdächtige im Kennedy-Mord wieder auftauchen. Und viele von denen starben dann eines plötzlichen Todes, oft kurz vor ihrer geplanten Vernehmung durch den US-Kongreß. Sollte der kubanische Geheimdienst alle diese Top-Funktionäre der CIA, Mafiosi und Exilkubaner zuerst umgedreht und dann auch noch ermordet haben?
In einem Auszug aus seiner Publikation legt Schäfer seine Ansicht dar, wonach Kennedy nachweisbar kurz vor seiner Ermordung bereit war, mit der kubanischen Regierung Verhandlungen aufzunehmen und diese bereits eingefädelt worden waren. Castro hätte demnach kein vernünftiges Interesse gehabt, Kennedy umzubringen.

In die Reihe der Kritiker reiht sich auch Ronald D. Gerste ein, der in der NZZ am Sonntag vom 8. Januar: "Der grösste Schwachpunkt des Films aber ist seine ausschliessliche und kritiklose Fixierung auf Lee Harvey Oswald als den alleinigen Täter." Das Castro das Risiko eines solchen Attentats wirklich in Kauf nehmen wollte, dies vermöge "kein pensionierter Geheimdienstmann, welcher Ideologie auch immer, dem Zuschauer wirklich glaubhaft zu machen."

Übersicht HOK Fallstudie "Rendezvous mit dem Tod" und zu Reaktion etablierter Medien

HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod" - Etablierte Medien (Pro)

Nils Minkmar, Feuilleton-Redaktor der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, kann dem Beitrag in seiner Besprechung in FAZ.net (Wie ein geladenes Gewehr) am meisten abgewinnen. Er hält die Argumentation von Huismann für überzeugend, das geht dann soweit, dass er den kubanischen Geheimdienst als den "Verein" bezeichnet, "der den Mord an JFK geplant und in Auftrag gegeben hat". Da wird aus der These bereits Gewissheit. Gegen Ende wird Minkmar dann philosophischer und grundsätzlicher.
Der ehemalige kubanische Geheimdienstchef Fabian Escalante etwa greift zur Verwirrungstaktik: „Was ist denn schon die Wahrheit?” fragt er und „Waren denn die Amerikaner je auf dem Mond? Viele bezweifeln es!” Es klingt, als hätte man Markus Wolf 1987 gefragt, ob die DDR RAF-Täter versteckt.
An diesem Punkt wird deutlich, worum es in diesem Dokumentarfilm geht: In den vergangenen zehn Jahren wurde der gesamte Komplex Kennedy-Mord dem Bereich des Irrationalen, ja Spinnerten zugerechnet. Wer hier mehr wissen wollte, konnte ebensogut die Realität der Mondflüge anzweifeln, nach vergrabenen Ufos suchen oder sich von schwarzen Helikoptern verfolgt fühlen. Dabei gab und gibt es noch etwas zu entdecken. Keine andere Verschwörungsthese konnte bislang mit einem Zeugen aufwarten. Freilich: Kuba ist nach wie vor eine Diktatur, und die Macht Castros ist nahezu unumschränkt. Es wird erst nach dem Ende des Systems möglich sein, das wahre Ausmaß und die Natur der Kontakte zwischen den kubanischen Diensten und Lee Harvey Oswald darzustellen und noch weitere Zeugen zu finden.
Auch bei Spiegel Online bespricht Minkmar den Film ("Befahl Castro den Mord an JFK?", Übernahme aus der FAZ am Sonntag), lobt seine "Dichte" und seinen "konzentrierten Stil", die der Vernebelungstaktik eines Fabian Escalante Paroli biete, weil er auf der Suche nach der Wahrheit sei, und diese nicht verschleiern wolle. Er endet mit dem Lob:
Es ist wieder Bewegung in die Ermittlungen gekommen. Dass hieran ausgerechnet die ARD beteiligt ist, dafür kann man ihr so manchen Stadl verzeihen.
Auch Stern.de (Claus Lutterbeck: "Castro hat Kennedy zuerst erwischt") widmet sich ausführlich der im Film vertretenen These und schildert die Vorgänge in einer Art, wonach die Wirklichkeit eigentlich offen zu Tage liegt:
Erstmals spricht auch der ehemalige Chef des kubanischen Geheimdienstes, Fabian Escalante. Seit Jahren versucht er erfolgreich, der CIA die Tat in die Schuhe zu schieben. Natürlich weist er jede kubanische Verstrickung weit von sich: "Wir hatten kein Motiv" behauptet er.
Ach ja? Dem damaligen AP-Korrespondenten Daniel Harker vertraute Castro an: "Wenn die Kennedys mir weiter nach dem Leben trachten, können sie sich ihres Lebens nicht sicher sein." Dem WDR liegt ein geheimgehaltenes Memo an den Kennedy-Nachfolger Lyndon B. Johnson vor, in dem beschrieben wird, wie Escalante im November 1963 via Mexiko City nach Dallas flog, um die Ermordung Kennedys zu überwachen.

Übersicht HOK Fallstudie "Rendezvous mit dem Tod" und zu Reaktion etablierter Medien

9.1.06

HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod" - etablierte Medien

Auch die etablierten Medien lassen sich (online und offline, wobei letzteres bei dieser Umschau weniger zum Zuge kommt) zum Film von Huismann verlauten. Das erstaunt nicht weiter, den schliesslich stammt die Ankündigung neuer und überraschender Erkenntnisse im Fall Kennedy nicht aus obstruse Web-Quellen (Blogs!), sondern von einer renommierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt mit deklariertem Qualitätsanspruch und zudem von einem bekannten und preisgekrönten Kollegen.
  • Pro: Mit Nils Minkmar und Claus Lutterbeck
  • Contra: Mit Klaus Wiegriefe, Andreas Förster, Harald Neuber, Horst Schäfer
  • Der Rest: Interviews in Spiegel Online, der Welt, der taz und dem Deutschlandfunk; ausserdem Medienecho ausserhalb Deutschlands
Übersicht "Fallstudie: Rendezvous mit dem Tod"

8.1.06

HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod" - Wikipedia

Bei Wikipedia lassen sich folgende Auswirkungen des Films "Rendezvous mit dem Tod" von Wilfried Huismann feststellen:

Deutsche Version:
  • Am 6. Januar wird ein Eintrag zu Wilfried Huismann erstellt, die vor allem auf den Dokumentarfilm "Rendezvous mit dem Tod" und die darin aufgestellte These verweist.
  • Beim Eintrag Attentat auf John F. Kennedy erscheint am 4. Januar erstmals der Hinweis auf den Dokumentarfilm, ganz am Ende des Artikels, der die verschiedenen Verschwörungstheorien nicht näher spezifiziert. Die Aussage des Films wird zunächst übernommen (Der Film untermaure die These...), ehe sie in einer Revision dann abgeschwächt wird (Der Film versucht die These zu belegen...). Auf der Diskussionseite hat eine Diskussion über die Aussagen des Films und ihre Gewichtung begonnen
Englische Version:
Übersicht zu HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod"

7.1.06

HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod" - Blogosphäre

Wie reagiert die Blogosphäre auf den Dokumentarfilm von Wilfried Huismann? Einige Einträge sind Blogs etablierter Medien, die ich gesondert betrachte: hier gibt es (getreu den allgemeinen Beobachtungen zu Blogs) eben Überschneidungen... Eher überraschend als die kritschen und zustimmenden Äusserungen ist die Vielzahl abgeklärter Reaktionen: Ach, noch so eine Komplott-Theorie...

Die Statistik
  • Es finden sich bei technorati 175 Blog-Einträge mit den Suchworten "Huismann AND Kennedy" (20.1.2006; 209 am 30.1.2006).
  • Am meisten Einträge wurden am 6.1.2006 angelegt.
  • Es gibt Einträge in Spanisch, Englisch, Deutsch, Holländisch, Französisch.

Die Berichterstatter
Der früheste Eintrag stammt von Ende November und ist eine Abschrift einer AP-Meldung, die die wesentlichen inhaltlichen Aussagen von Huismanns Film wiedergibt, sich aber jeglicher Einschätzung enthält. Dies tun auch die meisten Blog-Einträge, die oft ganze Abschnitte von Agentur-Meldungen abdrucken.

Die Zustimmer
  • I believe that in the wider interests of the world, this trail was not pursued to Cuba. (southwestsun, 9.1.2006)
  • This would fit the idea that the assassination was Oswald’s idea, by virtue of him being a lone assassin type. But I think it’s more than plausible that if he walked into the Cuban embassy and said he was going to assassinate JFK that the Cubans might have said, “Hey, what do we have to lose by helping this guy out a little?” (Lee, Right Thinking on the Left Coast, 7.1.2006)
  • So please tell me why it is that the United States refuses to ever, ever, ever deal with Premier Fidel Castro…?
    Surely it’s not because of lack of human rights in the country. Remember China has “favored nation” status.
    Nope. It has been a sneaky suspicion of mine that just maybe Castro might be a pariah in Washington because of that nasty business of November 22, 1963. Maybe Castro had more than a little something to do with it.
    I mean, after all, Kennedy was gun-ho in trying to bump Castro off. Perhaps Castro figured that he would return the favor; and what was good for the gander was good for the goose; in this case, Kennedy’s goose. He had Kennedy killed before he could kill him. (...) In a documentary being aired in Germany this week, Wilfried Huismann, a world renown filmaker, provides evidence that strongly supports Castro had Kennedy killed in retaliation for the many attempts on his own life.
    (howlinglatina, 6.1.2005)
  • While this isn't necessarily a new theory, I guess it offers the most compelling case for a Cuba backed assassination. (peachflavour, 5.1.2006)
  • This film sounds like it would be of interest, and I just might have to check it out if I ever get the chance. And for those of you wondering about the legitimacy of this project, the director spent three years researching "Rendezvous with Death", so it sounds like he put a lot of work and effort into this. (thatsdougslife, 5.1.2006)
  • as a believer in conspiracy theories, this one actually makes sense (Fakeplasticnews; 4.1.2006)
  • Dieser [atemberaubende Dokumentarfilm] belegt nichts weniger als den Verdacht, dass Fidel Castro John F.Kennendy ermorden ließ. (Richard Herzinger, Ideen und Irrtümer, 1.1.2006)
Die Abgeklärten
  • Huismann lässt Ex-Geheimdienstler, Mitwisser und Zeugen auftreten, zeigt Verstrickungen und versteckte Absichten und lässt den Zuschauer an den Originalschauplätzen Geheimdienstatmosphäre spüren. Eine Frage bleibt: Haben diese alten Männer, die als Zeitzeugen auftreten, noch eine Rechnung offen – oder sagen sie die Wahrheit? (...)
    Selbst wenn an Huismann-These nichts dran sein sollte, allein die Minuten mit den Kubanischen Ex-Geheimdienstchef General Escalante vor der Kamera sind ein schauerlicher Genuss. Escalante, die Unschuld in Person im blütenweißen, kurzärmeligen Hemd: "Wissen Sie, ob die Amerikaner wirklich auf dem Mond waren?" fragt er den Interviewer und relativiert mit diesem Satz die ganze Arbeit Huismanns. Er würde Huismann alles erzählen, nur nicht wie es wirklich war. - "Hey Gringo, weißt du eigentlich, dass du mit dem Feuer spielst?" Ist die Botschaft seines Lächelns, und man spürt: Escalante kann auch anders, mit ihm möchte man keine nähere Bekanntschaft machen. (Robert Lynd, handelsblatt-blog "ad hoc", 7.1.2006)
  • Ob die angeblichen Geständnisse ehemaliger kubanischer Geheimdienstmitarbeiter ausreichen, Castro als Auftraggeber des Attentats zu entlarven, ist fraglich. Nicht, weil dem kubanischen Staatschef der Mordauftrag nicht zuzutrauen wäre, sondern eher, weil keiner der von Huismann präsentierten "Kronzeugen" an der Geheimdienstoperation persönlich beteiligt war. Mit anderen Worten: Deren "Geständnisse" stammen letztlich nur vom Hörensagen bzw. beruhen auf der Interpretation von Beobachtungen. Wer hinter dem Kennedy-Mord steckt, bleibt folglich weiterhin offen. (Michael Schöfer, Leisetreter, 9.1.2006)
  • Huismanns Film deckt – mehr oder minder freiwillig – die dürftige Beweislage auf und gibt damit den Anstoss zu Überlegungen – ganz im Gegensatz zu seinen Behauptungen – den Fall eben doch nicht als abgeschlossen zu den Akten zu legen. (amy, Amys Welt, 8.1.2006)
  • Ich persönlich denke nicht, dass Wilfried Huismann mit seiner gestern bei der ARD ausgestrahlten Doku “Rendezvous mit dem Tod” allzuklares Licht in den Fall Kennedy bringt. (hein3301, Trierer Medienblog, 7.1.2006)
  • Will it ever stop? The conspiracy theories about Kennedy's assassination, I mean. It's a rhetorical question. Heck, there are still strange stories about Lincoln's assassination that still pop up now and then. (oldhickorysweblog, 1.6.2006)
  • As if by clockwork, here's more fuel for the JFK assassination conspiracy theory. This kind of thing pops-up pretty regularly. (Steven Moyer, the tension, 5.1.2006)
  • Mysteries; they surround us (...) Who was behind the assassination? Did Lee Oswald act alone? Was the CIA involved? What about the mob? Some have even suggested that Lyndon Johnson had a hand in it. Maybe aliens even? The possibilities are endless and so too, those who dabble in them. The latest comes from German filmmaker Wilfried Huismann and is called “Rendezvous with Death”. (..) For anyone even mildly interested in the subject, I recommend reading the full article. Like so many conspiracy theories, it offers compelling evidence of how the entire thing actually happened but this one also gives us a taste of the forbidden fruit of a foreign connection. (SinCity, 5.1.2006)
Die Kritiker
  • Bei näherem Hinsehen löst sich die Beweisführung jedoch in Schall und Rauch auf (Ulrich Speck, Kosmoblog, 5.1.2006)
  • Im Auftrag eines großen deutschen Verlags habe ich im Sommer Huismanns Material und Thesen überprüft. (Er wollte den Film zu einem Buch verarbeiten.) Ich kam zu dem Ergebnis, dass seine These, so charmant sie auch ist, leider nicht haltbar ist. Oder besser: dass Huismann seine These nicht beweisen kann. (Alan Posener, Apocalypso, 5.1.2006/30.8.2005)
Übersicht zu HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod"

6.1.06

HOK: Fallstudie: "Rendezvous mit dem Tod" - Ermordung von John F. Kennedy als Tat des kubanischen Geheimdienstes (Start)

Heute abend sendet ARD eine Dokumentation des renommierten Filmemachers Wilfried Huismann mit dem Titel "Rendezvous mit dem Tod" zu den Hintergründen des Mords an John F. Kennedy von 1963. Bis heute ranken sich besonders in den USA eine Vielzahl von Konspirations-Theorien um das Attentat. Meist wird das CIA verdächtigt, den unliebsamen, weil zu liberalen Präsidenten aus dem Weg geräumt zu haben. Huismann kommt zu einem anderen, allerdings auch nicht gerade neuen Schluss: es war der kubanische Geheimdienst.

Es ist anzunehmen, dass diese Aussage für einigen Diskussionsstoff in der Blogosphäre, aber auch in den traditionellen Medien und in Wikipedia sorgen wird. Machen wir einmal die Probe aufs Exempel und durchforschen wir das Netz auf der Suche nach interessanten Ergebnissen. Ich mache mir dabei die verschiedenen Suchhilfsmittel zu Diensten: Google Alerts, Wikipedia und Watchlist auf Technorati.

Weitere Einträge (Stand: 20.1.2006):

Aus der Welt der Blogs: Zensur

Aktuelle Blog-Zensur-Mitteilung: MSN hat in China den Blog eines dem Regime ungenehmen Webloggers, der auch für die New York Times arbeitete, vom Netz genommen. Er hatte von einem Streik bei der chinesichen Zeitung The Beijing News berichtet. Zwar kann Zhao Jing seinen Blog auf einem anderen Server ausserhalb Chinas weiterführen, dieser wird wohl aber von den chinesischen Behörden für Aufrufe aus China blockiert werden. Aufgeworfene Fragen: Machen sich die westlichen Firmen zu Komplizen der chinesischen Unterdrückungspolitik? Und: wie frei und zensurresistent ist das Internet eigentlich, bzw. wie gut eignen sich Blogs als Mittel für die Meinungsfreiheit in repressiven politischen Systemen?

Aus der Welt der Wikis: Ein Blick hinter den Vorhang

Ein Artikel in der Weltwoche 50.05 von Markus Schär mit dem Titel "Sieg der Köpfe" war weniger wegen des Hinweises auf die (bereits besprochene) "Weisheit der Vielen" (von James Surowiecki) von Interesse, sondern weil einmal ein Einblick in die sozialen Aspekte der Erstellung von Inhalten gewährt wurde. Wer opfert da eigentlich aus welchen Gründen seine Zeit; welche Debatten und Diskussionen werden zwischen den Autorinnen und Autoren und den Moderatorinnen und Moderatoren geführt? Erstaunlicher Befund: Deutsche und Schweizer Autorinnen und Autoren streiten um Helvetismen (Doppel-S oder Differenzierung von Skiläufer und Skirennfahrer und dergleichen), bezichtigen sich der dilettantischen Schreibweise und der inhaltlichen Voreingenommenheit - zumindest in der (zufälligen, aber interessanten) Auswahl, die Markus Schär gewählt hat. Diese umfasst einerseits Beiträge, die weniger wegen ihrer politischen Ausrichtung als grundsätzlich wegen ihrer enzyklopädischen Bedeutung umstritten sind (wie ein Artikel über das Dorf Weiach, ZH), aber auch heiss umkämpfte Biographien aktiver Politiker (wie Christoph Blocher, Moritz Leuenberger (beider Bundesräte) oder Alexander Tschäppät (Berner Stadtpräsident)). Inkonsistent ist der Autor in seiner Grundaussage. Er sieht in Wikipedia einen Beleg für die Weisheit der Vielen, porträtiert dann aber doch Individuen. Klar, ist es interessant zu wissen, was da für Personen ihre Freizeit für Wikipedia opfern. Dass die "Weisheit der Vielen" funktioniert (so dies bei Wikipedia zutrifft), hat aber eben nichts mit den interessanten Eigenschaften der Individuen zu tun. (Und der Artikel endet erst noch mit einem irreführenden Link auf wikimedia.ch...)

Der Blick "hinter den Vorhang" von Wikipedia ist allerdings von besonderem Interesse. Als User muss man sich zunächst daran gewöhnen, dass es mehr gibt als nur die publizierte Version, sondern dass auf mehrere Versionen zurück die Entstehung des Artikels (und auch die Autorinnen und Autoren und selbst die Diskussion zum Artikel) verfolgt werden können (vgl. Eintrag Legendenbildung). Allerdings ist die Archiv-Funktion nicht ganz einfach zu lesen und zu gebrauchen und die Diskussionen oft unübersichtlich, sodass bereits Alternativen dazu erwogen werden.

Für Historikerinnen und Historiker ist das gleich doppelt bedeutsam. Einerseits können die Artikel in ihrer Entstehungsgeschichte analysiert werden, und andererseits ist auch die Methode der Quellenkritik entsprechend anzupassen.

Das Projekt "history flow" von IBM setzt genau hier und erstellt grafische Darstellungen von der Entwicklung der Artikel in Wikipedia über die Zeit, wobei die Veränderung des Umfangs über die Zeit und der Anteil verschiedener Autorinnen und Autoren bei diesen Veränderungen berücksichtigt werden. Dies ergibt interessante Grafiken, die auf einen Blick verschiedene Typologien der Enstehung und damit der Nutzung anzeigen. Leider sind bislang nur Auszüge aus den Ergebnissen dieses Projekts publiziert.

3.1.06

Aus der Welt der Wikis: Kontrolle ist gut - ist Misstrauen besser?

Nach all den Bemühungen, mit einem offenen Konzept à la Wiki und Wikipedia zu gesicherten Wissen zu gelangen, in dem Elemente des Peer-Reviews eingebaut werden sollen, ist die Meldung vom Versagen des Peer-Reviews bei einem der renommiertesten Wissenschafts-Magazine der Welt, Science, und dies noch in einem hochsensiblen und unter besonderer Aufmerksamkeit stehenden Bereich wie dem Klonen, doch sehr irritierend (Der Fall Hwang).

Folgt daraus, dass die medien- und informationskompetente User am besten von Anfang an aller Information misstrauen, die sie nicht selbst dreimal mit unabhängigen "Zweit-Instanzen" geprüft haben? Wie oft, funktionieren die zugespitzten Erkenntnisse in der Realität nicht. Es bleibt die Schwierigkeit (bzw. der Anspruch an die Kompetenz), kontext-abhängig zu differenzieren: Es ist nicht dasselbe, ob man einem Link in Google oder einem Artikel in Science zum Thema Klonen vertrauen möchte: bei beiden ist das grundsätzlich möglich, aber auch grundsätzlich riskant. Aber nicht im gleichen Masse.

Ob Wiki oder "Science": Das Fehler aufgedeckt und von den jeweiligen Verantwortlichen transparent dargestellt werden (sei es der Fall Hwang oder Seigenthaler), sollte uns im Vertrauen eher bestärken. Das deutet darauf hin, dass zumindest die nachträglichen und durch Externe geleisteten Prüf-Verfahren funktionieren.